Gasometer: Politikverdrossenheitsförderungsprojekt

Foto: Ulf Schumann, Simulation: Veit Schütz

Fast zeitgleich zu meinem Umzug auf die Rote Insel 2009 wurde nebenan Reinhard Müller mit seinem Euref-Projekt mein Nachbar. Ich startete meinen Rote-Insel-Blog, er begann mit seinen hochfliegenden Plänen auf dem ehemaligen Gasasg-Gelände. Die Bürgerinitiative Gasometer gründete sich und kämpfte mit harten Bandagen gegen die massiven Ausbau-Pläne.

Ich begann, mich mit dem Projekt und Müller zu beschäftigen, erlebte ihn auf manchen Bürger-Versammlungen und hörte seine Versprechungen. Ich las mehrmals vom Sanierungs-Start für den Gasometer – alles reine PR-Luftnummern. Er rostet weiter, bis heute. 

Erste Geschenke an Reinhard Müller

Müller wollte auf eigene Kosten eine Zufahrtstraße zu seinem „Campus“ bauen und unterschrieb dafür einen städtebaulichen Vertrag. Er wurde vom Stadtrat Krömer von dieser millionenschweren Verpflichtung wenige Tage vor dessen Ausscheiden aus dem Amt ohne weitere Begründung entlassen, der Vertrag wurde entsprechend ergänzt. Dass Müller jetzt Millionen spart und gar keine Straße bauen muss, lediglich verspricht, die Torgauer Straße zu asphaltieren, wird von Stadtrat Oltmann als großer Erfolg verkauft. Es ist nicht lange her, da sahen die Grünen bei einer erheblich geringeren Bebauung die Torgauer als zu schmal an bei dem zu erwartenden Verkehr.

Glänzender Netzwerker

Müller ist ein glänzender Netzwerker. Er hat es verstanden, Politiker aller Couleur für sein Projekt einzuspannen. Sei es den ehemaligen DDR-Ministerpräsidenten Lothar de Maizière (CDU), den ehemaligen Umweltminister Töpfer (CDU), Roland Koch (ehem. Ministerpräsident Hessen, CDU), Sigmar Gabriel (Ex-Vorsitzender SPD), Reiner Brüderle (FDP), Ex-Baustadtrat Strieder, bis heute im Vorstand (SPD), den heutigen Bundespräsidenten Steinmeier (SPD) oder Ex-Außenminister Fischer (Grüne). Zuletzt war Müller mit Alt-Kanzler Schröder breit grinsend beim Euref-Golf-Cup in Wannsee zu sehen.

Dann die zahlreichen Parteiveranstaltungen, auch hier von der CDU über die SPD (zuletzt wurde Olaf Scholz zum Kanzlerkandidaten im Gasometer ausgerufen) bis hin – jawohl, zu den Grünen. Wir halten fest: Es gibt zahlreiche persönliche wie auch geschäftliche Beziehungen zu den großen drei Parteien, deren Vertreter jetzt in der BVV über den Komplett-Ausbau des Gasometers entscheiden sollen.

Besonders eng ist Müllers Beziehung freilich zur SPD, schließlich ist er dort jahrzehntelang Mitglied. Da schreibt dann auch schon mal Ed Koch die Pressetexte für Euref, während dieser gleichzeitig über seinen Verein Paperpress eine wichtige Stütze für den Regierenden Bürgermeister Michael Müller ist, wie der Tagesspielgel berichtet. In einer seltsamen Mischung aus Jugendarbeit (früher), die vom Bezirksamt Tempelhof durch Mietfreiheit jahrelang gesponsert wurde, und „Pressedienst“ sieht Koch seine Hauptaufgabe darin, Bürgermeister „Müller gegen unbotmäßige Kritik in Schutz zu nehmen“, so der Tagesspiegel. Er schreibt aber eben auch Elogen auf Reinhard Müller und Schmähschriften gegen Euref-Kritiker. Und nebenbei verdient sich der Mann mit der unklaren Berufsbezeichnung offensichtlich ein paar zusätzliche Euro bei Euref.

Zusammenarbeit zwischen Euref und Grünen

Lange Jahre waren die Grünen ein Fels in der Brandung und standen Euref kritisch gegenüber. Aber das ist Vergangenheit. Stadtrat Oltmann will im Herbst Bürgermeister werden und dafür wird er Stimmen von SPD und CDU benötigen. Da ist ein Zankapfel Gasometer nur störend. Oltmann hat seinen grünen Kreisverband auf Linie gebracht. Ohne jede Scham wird Werbung von Müller auf den grünen Social-Media-Kanälen geschaltet. Die bisherige Stadträtin Christiane Heiß, die sich kritisch dem Gasometer-Ausbau entgegengestellt hat, wurde für die kommende Wahl ersetzt durch eine junge Quereinsteigerin, die keine Meinung zum Thema hat. 

Oltmann und die Bezirksverwaltung übernehmen vom dankbaren Müller die Erzählung, dass im Abwägungsverfahren mehrheitlich positive Stellungnahmen eingegangen wären. Kurzerhand wird ein baurechtliches Verfahren in eine Volksabstimmung umdeklariert, ein absurder und einmaliger Vorgang. Die positiven Stellungnahmen wurden in erster Linie von Müller zusammengebettelt in Mailaufrufen unter seinen Bekannten, zu vermuten sind auch einige Stellungnahmen unter den Beschäftigten auf dem Gelände. Auch hier funktioniert die Zusammenarbeit zwischen dem grünen Baustadtrat und dem Investor reibungslos. Ein Verfahren zur Bürgerbeteiligung wird unter grüner Mitwirkung ad absurdum geführt und zu Grabe getragen!

Über 10.500 Stimmen gegen 364

Wenn das Duo Oltmann/Müller eine Volksabstimmung haben möchte, bitte sehr. Rechnen wir einmal zusammen: Wir von der BI Gasometer retten! haben über change.org mehr 10.300 Stimmen, zudem auf Unterschriftenlisten rund 300 weitere. Herr Müller hat mit seinen Einwendungen 382 Stimmen gesammelt, macht ca. 3,5 % zu 96,5 %. Zugegeben, die Rechnung ist statistisch gesehen nicht ganz seriös, aber mindestens so seriös wie die Rechnung der Ausbau-Befürworter.

Denkmalschutz, Rote Liste, Geschichtswerkstatt

Aber nicht nur die Anwohner*innen sind gegen den Komplett-Ausbau. Die Denkmalschutzbehörde würde zähneknirschend einen Teil-Ausbau genehmigen, alles andere lehnt sie vehement ab. Der Verband Deutscher Kunsthistoriker hat den Gasometer sogar auf seine Rote Liste gefährdeter Denkmäler gesetzt. Und nicht zuletzt die Geschichtswerkstatt hat den BVV-Mitgliedern ihre Bedenken mitgeteilt. Dennoch wird die Mär weiterverbreitet, der Gasometer sei doch immer gefüllt gewesen und somit würde man nur den ehemaligen Ursprungszustand wiederherstellen. Dass im Stahlskelett ein teleskopartig ausfahrbarer Gasbehälter eingebaut war, der eben je nach Gasdruck hoch und runter fuhr und meistens eine Teil-Durchsicht erlaubte, verschweigen Euref und Bezirkspolitiker.

Breite Unterstützung

Seit Oktober kämpft die BI Gasometer retten! für den Erhalt des Gasometers bzw. gegen einen Komplett-Ausbau. Und wir haben eine so breite Unterstützung erfahren, wie wir nicht zu träumen gewagt haben. Alleine über 10.000 Unterstützer*innen bei change.org. Hunderte analoge Unterschriften. Fast jede Woche stehen wir mit einem Info-Stand bei Wind und Wetter vor der Bio-Insel und sprechen mit Anwohner*innen, die überwiegend entsetzt sind von den Plänen. Darunter viele Grünen-Wähler*innen, die dieses Jahr ihr Kreuz an einer anderen Stelle setzen werden.

Wir haben Unterstützung bekommen von der ehemaligen Schöneberger Bürgermeisterin Elisabeth Ziemann, die Tagesspiegel-Kolumnistin Pascale Hughes hat einen flammenden Appell für den Gasometer geschrieben. Die Schauspielerinnen Yella Haase und Laura Tonke haben uns unterstützt. Unser Mitglied Wolfgang Leonhardt hat trotz Corona eine Kunst-Ausstellung organisiert. All das zeigt uns: Die Nachbarschaft funktioniert auf der Roten Insel.

Bisher scheint die Politik unbeeindruckt zu sein. Es gibt immer mal wieder Gesprächsangebote, die häufig im Sande verlaufen. So wie es aussieht, soll die entscheidende Abstimmung noch im Juni durch die BVV gepeitscht werden, damit vor der Sommerpause und vor der Wahl im September Müller alles bekommt, was er verlangt. Das Ergebnis sehen Sie oben. Wollen wir das? Ich nicht. 

Es geht um die Stadt von morgen

Es geht uns nicht um „Not in my backyard“, wie uns immer wieder vorgeworfen wird. Es geht uns um die Frage, wie die Stadt von morgen aussehen soll. Es geht uns um bürgerschaftliche Teilhabe. Es geht uns darum, auf die Verstrickungen zwischen Wirtschaft und Politik aufmerksam zu machen, die einen Hochhausbau in einem geschützten Denkmal ermöglichen. Wer hat das Sagen in Berlin? Brauchen wir nach Corona noch mehr Büro-Gebäude? Wie sieht die Arbeit von morgen aus?

Ich bin normalerweise allergisch gegen pauschale Aussagen wie „Die da oben machen ja eh, was sie wollen“. Aber ganz ehrlich: Wenn man sich in Schöneberg die Querverbindungen zwischen Investor und Politik ansieht, die Umfallerei von Parteien und Personen, die Karriere machen wollen, die Egal-Haltung gegenüber Bürger*innen, dann versteht man den Frust. Und man versteht, warum die Politikverdrossenheit wächst und wächst und wächst.

Für mich steht nach aufregenden Monaten eines fest: Sollte tatsächlich die BVV den Komplett-Ausbau durchwinken, werde ich mein Kreuz nicht mehr bei den Grünen setzen. Die Enttäuschung ist jetzt bereits groß, wie bei so vielen Nachbar*innen auf der Roten Insel, in Schöneberg und darüber hinaus. Auf dem Weg zur Macht ist die Partei stinknormal geworden und bereit, sämtliche Prinzipien, für die sie einst stand, hinter sich zu lassen.

One thought on “Gasometer: Politikverdrossenheitsförderungsprojekt

  1. Ich finde, das ist ein Fall für – die Polizei! Server durchsuchen, Verdacht auf Manipulation demokratischer Prozesse und Einsicht in Verträge und Unterlagen, wer hier Geld aus wrlchen Quellen erhält. Und Jörn Oltmann Boykott! Im Herbst auf Bezirksebene Protestwählen! Nur was bleibt da noch übrig….ohje.

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