Boomtown Südkreuz? Eine Bestandsaufnahme

Kräne am Gasometer

Wir befinden uns im Jahre 2012 n. Chr. Ganz Berlin ist von Immobilienspekulanten besetzt. Ganz Berlin? Nein! Eine von unbeugsamen Berlinern bevölkerte Insel hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten.
So ähnlich könnte man die Lage auf der Roten Insel beschreiben. Wobei ich ehrlicherweise eigentlich schreiben müsste, dass unser Kiez bislang von den Immobilienspekulanten und dem dazugehörigen Schwarm der sprichwörtlichen Schwaben, die in der Hauptstadt von einem Bezirk zum anderen ziehen und eine Spur von totsanierten öden Luxusquartieren hinterlassen, schlichtweg übersehen wurde. Zum Glück.
Einige Artikel in der Hauptstadtpresse der letzten Tage lassen nun aufhorchen. Da ist davon die Rede, dass der Potsdamer Platz für Gewerbeimmobilien uninteressant geworden sei. Die neuen Renner seien Mediaspree, das Gebiet am Hauptbahnhof – und das Südkreuz. Das Südkreuz? Von welchen Immobilien könnte denn hier in der Ödnis die Rede sein?

Ein wenig Sanierung

Zunächst einmal: Wer ist eigentlich diese Firma „Jones Lang Lasalle“, die zu der Aussage kommt, dass die Nachfrage nach Immobilien hier so gewaltig sei? Wikipedia gibt Auskunft, dass es sich um ein Finanz-, Dienstleistungs- und Beratungsunternehmen handelt. Sucht man etwas weiter, trifft man auch schon schnell auf die EUREF-Seiten, wo unter anderem „Jones Lang Lasalle“ als eine Kontaktadresse zur Vermietung am Gasometer genannt wird. Dass es sich hier also um einen geschickten PR-Trick handelt, die Immobilien als stark nachgefragt zu bezeichnen um erst diese Nachfrage zu erzeugen, ist wohl eindeutig.

Tempelhofer Weg – Tristesse pur

Aber kommen wir einmal zu den Fakten. Da ist das Gasometer mit seinem Investor Reinhard Müller, von dem hier schon häufig die Rede war. Richtig ist, dass sich tatsächlich seit einigen Wochen die Kräne auf dem EUREF-Gelände drehen für den ersten Neubau, in den nach Angaben auf der Homepage der französische Konzern Schneider Electric als Hauptmieter einziehen wird. Glaubt man den Angaben, liegt der Vermietungsstand bei 65%. Und da liegt er seit gut einem halben Jahr. Selbst der Schönredner Müller vermag also nicht in Jubelarien auszubrechen. Für weitere drei Gebäude liegen Baugenehmigungen vor, wann hier die Bagger anrollen sollen oder wie stark die Nachfrage in Wahrheit ist, darüber wird geschwiegen. Für alle weiteren Bauten müsste Müller einen Batzen Geld in die Hand nehmen und für eine vernünftige Zufahrt vom Sachsendamm unter der Ringbahn hindurch sorgen. Hier sind noch einige Kämpfe mit Bahn und Bezirk zu erwarten, steht doch mit der neuen grünen Stadträtin Klotz endlich eine kompetente Frau der EUREF entgegen, die die (vertraglichen) Rechte des Bezirks und seiner Bewohner hoffentlich besser vertritt als ihr Vorgänger.
Festzuhalten gilt: Von den einst hochfliegenden Plänen ist nicht viel übrig geblieben. Vollmundig tönte der Möchtegern-Großinvestor einst von einer Baustelle, die noch gewaltiger als einst am Potsdamer Platz sein würde. Dennoch könnte sich schrittweise über die nächsten Jahre auf dem Gelände einiges entwickeln, nicht zuletzt auch, weil der Gasometer seit einigen Monaten jeden Sonntag über den Bildschirm flimmert und somit zusätzliche Aufmerksamkeit auf sich zieht, da Günter Jauch hier sein Zelt aufgeschlagen hat.

Einsam, öd und leer

Abseits vom Gasometer, auf der Schöneberger Linse, herrscht allgemeine Tristesse. Am Tempelhofer Weg werden gerade einige Gebäude saniert, wo hier aber wer ansonsten Interesse an Gewerbeimmobilien haben könnte, erschließt sich nicht. Von den seit Jahren existierenden Plänen für Hotels, Convention Centern (zu Deutsch: Kongresscenter), Kinos, Busbahnhof, Theater und gar Shoppingmall ist bislang überhaupt nichts, nicht einmal ansatzweise, verwirklicht worden. Mit etwas gutem Willen kann der Neubau von Iden an der Wilhelm-Kabus-Straße als Erfolg gewertet werden; nebenan entsteht gerade ein flacher kleiner Betonbau, wer hier einziehen wird, ist noch unbekannt. Und selbst das Südkreuz ist eigentlich noch unvollendet. Ursprünglich als „Autofahrerbahnhof“ konzipiert mit zwei großen Parkhäusern über den Gleisen ist ein mickriges Parkdeck übrig geblieben – zwar ist ein Ausbau weiterhin möglich, aber ein Investor auch hier nicht in Sicht. Zudem ist der Wiederaufbau der Dresdner Bahn, die als Zubringer zum neuen Flughafen eigentlich unumgänglich ist, durch Unfähigkeit und Desinteresse von Senat und Bahn in sehr weite Ferne gerückt. Auf dem zukünftigen Flughafenexpress können somit die Züge nur alle 30 Minuten über einen Umweg rollen statt wie geplant im 15-Minuten-Takt.
Doch wie könnte es weiter gehen? Die nächsten ein bis zwei Jahre werden vermutlich entscheidend sein. Durch die Eröffnung des Willy-Brandt-Airports wird sich das Gesicht Berlins entscheidend verändern, das Südkreuz wird für viele Reisende erste Station auf Berliner Gebiet sein. Es könnte sein, dass aufgrund von (zu erwartenden) Engpässen auf der Bahn und Staus auf der A100 sehr schnell Handlungsbedarf in Sachen Dresdner Bahn erkannt wird und auch die Vervollständigung der Parkhäuser wieder ins Gespräch kommt. Das Gebiet der Linse hätte mit Bahnhof und Gasometer zwei Ausgangspunkte, von denen aus sich die Brachflächen tatsächlich nach und nach mit Neubauten für Büros oder gar Hotels füllen könnten. Sollte die Entwicklung tatsächlich so verlaufen, wären Auswirkungen für das Wohngebiet der Insel wohl unvermeidlich, die Ringbahn als Puffer würde kaum ausreichen und auch hier würde der Gentrifizierungsprozess seine Spuren hinterlassen.
Noch ist das Zukunftsmusik, es kann auch alles anders kommen. Aber dass unsere Insel auf Dauer von Immobilienspekulanten übersehen wird, ist wohl nur frommes Wunschdenken. Auch wenn wir weiter tapfer Widerstand leisten. Beim Teutates!

5 thoughts on “Boomtown Südkreuz? Eine Bestandsaufnahme

  1. Sehr schöner Bericht. Insbesondere sehr interessant die Recherche zu Jones Lang Lasalle. Ich kam auch aus dem Staunen nicht mehr heraus, als ich im Tagesspiegel das Südkreuz in einem Atemzug mit Mediaspree und Hauptbahnhof genannt sah. Das erklärt einiges. Dass das Südkreuz bald mit Hotels zugebaut wird, glaube ich nicht. Es gab so viele Hotelneubauten in den letzen Jahren, da ist doch wohl eine gewisse Sättigung erreicht. Auch an ein Kongresszentrum mag ich nicht so recht glauben. Büros halte ich für möglich, angesichts des Leerstands bei bereits bestehenden Büroflächen aber für irrsinnig. Trotzdem sollte man doch nicht jede Veränderung verteufeln. Die jetzigen Brachflächen waren ja früher auch zum Großteil bebaut. Wie die Bildunterschrift zum Tempelhofer Weg richtig feststellt: Diese Straße ist tatsächlich "Tristesse pur". Die Brache hin zum Südkreuz dient als Müllabladeplatz, dort tummeln sich nur die Ratten. Eine teilweise Bebauung durch bodenständige, Nicht-Wolkenkratzer-Träumer-Projekte wäre meiner Meinung nach der Umgebung nicht unbedingt abträglich.

  2. Super geschrieben!

    So unglaublich boomt es am HBF aber nun auch noch nicht. Es ist zwar einiges in Planung, aber noch ohne konkreten Termin, derzeit entstehen nur ein Hochhaus und ein weiteres Hotel. Sollen sie sich mal ruhig Zeit lassen damit.

    In der Abendschau wurde neulich die Planung eines Parkhauses für Elektrofahrzeuge am Südkreuz erwähnt. Der Bahnhof soll dazu Solarzellen aufs Dach bekommen.

  3. Danke für das Lob hier!
    @anonym: Irgendwann wird sicher das Gelände bebaut und sicher ist nicht jede Veränderung schlecht – d'accord! Ich denke auch, ein gesunder Mix aus (bezahlbaren) Wohnungen und Gewerbe wäre realistisch und nicht per se zu verteufeln.
    @erlinhauptbahnhof: Danke auch für den Hinweis, ich hatte den Bericht ebenfalls gesehen. Von einem eigenen Parkhaus war aber meiner Erinnerung nach nicht die Rede; auf dem Parkdeck stehen auch bereits einige Elektro-Fahrzeuge (http://www.flinkster.de/kundenbuchung/process.php?proc=station&station_id=400761&f=2500&key=). Ich denke, dass es sich nur um eine grundsätzliche Idee handelt ohne konkrete Planung bisher.

  4. Dem Blog-Betreiber an dieser Stelle einmal ein allgemeines Dankeschöne für die interessanten Beiträge.

    Nachfolgend ein kleiner Bildbeitrag als Ergänzung zum Thema "Tempelhofer Weg – Tristesse pur" aus Februar 2011 (Wahltag):

    Gesehen Richtung Teske-Schule (rechts) und grob Richtung ‚S-Bahn Schöneberg’
    http://inlinethumb61.webshots.com/48892/2732356430103116692S600x600Q85.jpg

    Gesehen AUS Richtung Teske-Schule bis Südkreuz
    http://inlinethumb48.webshots.com/47855/2330138720103116692S600x600Q85.jpg

    Optisch interessant
    – gezoomt aus Richtung Teske-Schule bis Südkreuz-Uhr:
    http://inlinethumb13.webshots.com/49484/2529077690103116692S600x600Q85.jpg

    Ich freue mich auf weitere interessante, vorwiegend sachlich-klare Beiträge!

    Alles Gute

    RE

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