Verkehrswende: Es geht nicht voran

Seit zwei Jahren haben wir in Berlin einen Rot-Rot-Grünen Senat und in Tempelhof-Schöneberg eine Rot-Grüne Zählgemeinschaft. Auf Landesebene gibt es eine grüne Verkehrssenatorin, im Bezirk grüne Stadträte, die für Stadtentwicklung und Bauen bzw. Ordnungsamt sowie Verkehrsamt zuständig sind. Also alles paletti für den radaffinen Schöneberger, müsste man meinen. Die Realität sieht anders aus, und sie ist traurig. Ein paar Beispiele aus unserem Kiez und der unmittelbaren Umgebung:

Südkreuz

Mit Tempo 50 unter der Brücke zum Südkreuz – und rechts keine Fahrradspur

Fahrradtechnisch ist die Anfahrt zum Südkreuz eine absolute Fehlplanung. Die Radler werden auf die viel zu enge Wilhelm-Kabus-Straße gedrängt, auf der die Autofahrer mit Tempo 50 durch eine Kurve unter der Bahn-Brücke (wo es nur einen Radtreifen auf der östlichen Straßenseite gibt) hindurchrasen. Rund um den Bahnhof parken Autos die Radspuren zu – während nur die Fahrgäste mit neuester Technologie überwacht werden –, Fahrradabstellplätze sind Mangelware und über Vorüberlegungen zur zukünftigen Rad-Verkehrslenkung ist das Bezirksamt bislang nicht hinausgekommen. Die Bahn weigert sich, den 4. Bahnhofs-Ausgang zur Insel (wieder) zu eröffnen – und lässt die Grünanlagen zu öffentlichen Klos verkommen. Im März haben sich ein paar Bezirksverordnete medienwirksam die Situation angeschaut und versprachen Abhilfe, was die zugeparkten Radwege angeht. Die BVV verabschiedete einen Antrag, sich u. a. für die Einrichtung von Leitboys einzusetzen. Konkret geschehen ist: nichts.

Torgauer Straße

Ist-Zustand Torgauer Straße. Für Radfahrer ist kein Platz

Es könnte so schön sein: Auf einem breiten Radweg gleitet man unbehelligt bis zum Bahnhof Schöneberg entlang der umgewidmeten Torgauer Straße. Die fertiggestellten 200 Meter werden gerne abgebildet als Vorzeige-Radweg. Der Unterschied zu den weiteren 200 Metern könnte nicht größer sein: Auf einer Rumpelpiste teilen sich Autos, Baufahrzeuge und Beschäftigte des Euref-Campus den wenigen Platz. Leider sind inzwischen auch die Grünen eingeknickt und haben diesen gefährlichen Weg abgesegnet. Bauinvestor und Genosse Reinhard Müller hatte sich vor 10 Jahren noch vertraglich verpflichtet, eine Zufahrtsstraße vom Sachsendamm auf seine Kosten zu bauen, später ließ er seine Kontakte spielen und so wurde er Schritt für Schritt von seinen Verpflichtungen entbunden. Bei jedem neuen Bauantrag wurde eine neue Untersuchung vorgelegt und die kopfsteingepflasterte Torgauer Straße zur leistungsfähigen Zubringerstraße erklärt. Angeblich ist ein Umbau geplant, aber wie der auf dem wenigen Platz aussehen kann, und wann der kommt – auf Steuerzahlerkosten – ist vollkommen unklar.

Cheruskerstraße/Kolonnenstraße

Ende des „Radweges“ auf dem Fußgängerweg

Vor über fünf Jahren empörten sich SPD und Grüne über die unübersichtliche Situation am nördlichen Ende der Cheruskerstraße, eine neue Verkehrsführung für Radfahrer solle her. In der Tat ist die Situation vor der Bioinsel sehr unglücklich, da Radfahrer auf den Bürgersteig geleitet werden. Geschehen in den letzten fünf Jahre ist vor Ort: nichts.

Yorckbrücke Nr. 5

Betreten verboten: Yorckbrücke Nr. 5

Östlich der Bautzener Straße steht sie da, die Yorckbrücke Nr. 5, saniert für über 400.000 Euro, und verbindet nichts. Radfahrer und Spaziergänger vom Südkreuz aus könnten sich den Umweg über die Rampen an der Monumentenbrücke sparen und direkt in den westlichen Gleisdreieckpark gelangen. Investor Semer hat den Weg entlang seiner Neubauten bis an den Bauzaun wie versprochen hergestellt, doch jetzt hat sich herausgestellt, dass die Brücke vielleicht nicht stabil genug wäre, wenn unten ein LKW in einen Pfeiler rumsen würde. Nächstes Jahr soll sie wieder ausgehoben und für weitere 800.000 Euro von der Deutschen Bahn ertüchtigt werden. Was diese Zeitprognose angeht: Wir wissen Bescheid!

Priesterweg

Priesterweg – gestern, heute und wahrscheinlich auch morgen

Ach ja, der Priesterweg. Ich habe die Hoffnung fast aufgegeben, dass die letzten 200 Meter vom Baluschek-Park bis zum Prellerweg für Radfahrer noch fertiggestellt werden. Seit 2004, als der Park eröffnet wurde, gibt es diesen Missstand, und es verging keine Wahl, in der nicht zumindest SPD und Grüne die Beseitigung desselben versprochen haben. Und was sagt die zuständige grüne Stadträtin heute: Es ist kompliziert. Also wird das Provisorium sicher auch sein drittes Jahrzehnt erleben.

Monumentenbrücke

Radfahrer, die von links die Rampe hochstrampeln, landen auf dem Gehweg

2016 wurde der Flaschenhalspark eröffnet, über eine Rampe radelt man auf die Monumentenbrücke – und hier fehlt nach wie vor eine Ampel, um die Fahrbahn überqueren zu können, und damit die unübersichtliche Situation beseitigt wird. Damals sprach der Senat von einem Jahr Umbauzeit. Geschehen ist: nichts.

Kaiser-Wilhelm-Platz

Leitboys am Kaiser-Wilhelm-Platz – für einen viel zu hohen Preis

Hier wurde tatsächlich 2018 innerhalb weniger Wochen die Situation verbessert, Leitboys schützen jetzt Radfahrer. Ein Wunder? Nein, ein Drama. Der hohe Preis für das schnelle Handeln war eine tote Radfahrerin, die Opfer eines rechtsabbiegenden LKW-Fahrers wurde, und das an einer Stelle, die der Verwaltung und Politik längst für ihre großen Gefahren bekannt war. Es stellt sich die Frage: Ist noch mehr Blutzoll notwendig, damit sich etwas ändert?

2 thoughts on “Verkehrswende: Es geht nicht voran

  1. Meines Erachtens wird die Buckelpiste vor dem Euref-Gelände nicht saniert, weil dies bedeuten würde, dass während der Bauzeit Mr. und Mrs. Startup nicht mehr bequem im Auto anreisen können, sondern den Wagen irgendwo parken müssten, um die letzten Meter per pedes zu bewältigen.

    Die dicken Schlitten, die da massenhaft ein- und ausfahren illustrieren sehr schön, wie „nachhaltig“ dort gedacht und geplant wird, genauso wie die furchtbaren Neubauten, bei denen die miserable C02-Bilanz der verwendeten Baustoffe überhaupt keine Thema sind (noch abschreckender ist die Wohnburg auf der Linse) und die zudem auch noch teilweise extreme Lichtverschmutzer (z.B. umlaufende Leuchtelemente mit kaltem Licht) sind.

  2. Mich hat im Dezember eine schwäbische Autofahrerin an der Ecke Naumannstr./Torgauer vom Rad geschossen. 6 Meter Flugweg, 3 Bandscheibenvorfälle (zwei im Hals), schwere Prellungen und Ödeme. Ich werde Spätfolgen davon tragen.
    Die Fahrerin hat mich unmöglich übersehen können, die hat nicht aufgepasst. Das Verfahren gegen sie wurde schon im März eingestellt, gegen mich wird bußgeldmäßig ermittelt, weil man nur eine meiner beiden Vorderlampen gefunden hat und diese nur mit 3 statt mit Volt betrieben wird. Die andere, stärkere Lampe wurde von der Polizie nicht mehr gefunden – 1,5-2 Stunden nach dem Unfall.
    Zum Unfallzeitpunkt war eine Straßenlaterne an der Einmündung funktionslos, ich habe das bei der Polizei moniert. Die Lampe leuchtet immer noch nicht.
    Die Verkehrswende geht nicht voran, weil seitens der Parteien und ihrer Büttel überhaupt kein Interesse an der gerechten und sicheren Verteilung des Verkehrsraumes gehört. Dazu gehört auch, dass die Berliner Cops in Corona-Zeiten tatsächlich ihre Zeit damit verschwenden, E-Biker zu schikanieren und deren Räder zu beschlagnahmen, weil man diese mit einer App auf den hier nicht zugelassenen US-Modus stellen kann (5 Km/h schneller).

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