Paul Zech – der Arbeiterdichter von der Insel

„Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund.“ Dieses Gedicht wird allgemein mit Klaus Kinski in Verbindung gebracht, brachte der genial-wahnsinnige Schauspieler doch unter diesem Titel seine Autobiographie heraus und vertonte den Text 1959 auf seiner Sprechplatte „Kinski spricht Villon“. Der Haken daran ist, dass der „Erdbeermund“ gar nicht von François Villon (1431-1463) stammt, sondern von Paul Zech und ungefähr um 1930 verfasst wurde. Als sogenannter „Arbeiterdichter“ wohnte Zech standesgemäß zwischen 1925 und 1933 im Schöneberger Arbeiterviertel in der Naumannstraße 78 (damals Königsweg). Dass es zu der Verwechslung kommen konnte, liegt an Zech, wurde doch der „Erdbeermund“ in seinem Buch „Die lasterhaften Lieder und Balladen des François Villon“ als angebliche Übersetzung veröffentlicht, inzwischen wird aber allgemein anerkannt, dass es sich um einen eigenen Text handelt, verfasst im Stile Villons. Auch ansonsten machte es Zech seinen Biographen nicht einfach, nahm er es doch mit der Wahrheit oft nicht sehr genau. Dies fängt schon mit seiner Geburt an, die zwar im Jahr 1881 erfolgte (als drittes, erstes überlebendes von insgesamt 22(!) Kindern), aber nicht in Westfalen, wie Zech behauptete, sondern im westpreußischen Briesen. Tatsache ist, dass er eine Bäckerlehre abbrach und in Belgien in Kohlebergwerken arbeitete. Nicht den Tatsachen entsprechen jedoch seine Angaben, Bergbaubeamter gewesen zu sein, das Gymnasium besucht und ein Studium absolviert zu haben sowie zum Dr. phil. promoviert zu haben. Ca. ab 1901 verfasst Zech erste Gedichte, die ab 1904 in regionalen Zeitungen und Zeitschriften (Zech wohnte damals in Elberfeld, heute ein Stadtteil Wuppertals) besprochen wurden. Nach ersten Erfolgen fand er in Else Lasker-Schüler eine bedeutende Mentorin, die ihm dazu riet, nach Berlin überzusiedeln (1912) und ihm diesen Schritt durch Publikationsvermittlungen zudem erleichterte. Handelten seine Gedichte zunächst von der Natur, waren jetzt Großstadt und Arbeitswelt seine bevorzugten Themen. Sein Gedichtbändchen „Die rot durchrasten Nächte“ enthält zum Teil erotische Texte. Um einer drohenden Zensur zu entgehen, gibt Zech vor, dass es sich um Nachdichtungen des französischen Lyrikers Léon Deubel handele. Diesen Trick wendet er in den folgenden Jahren immer wieder an, so auch bei dem schon erwähnten Villon-Band.
Der erste Weltkrieg und seine Erlebnisse in diesem verwandelten Zech, der sich zunächst freiwillig meldete, vom Patrioten zum glühenden Pazifisten. Den Höhepunkt seiner Anerkennung fand er in den ersten Nachkriegsjahren, jetzt auch als Erzähler mit der Veröffentlichung des Novellenbandes „Der schwarze Baal“; 1918 erhält er den Kleist-Preis. Der große Durchbruch wollte sich aber nicht einstellen und so war der Dichter auf eine Festanstellung als Hilfsbiblothekar angewiesen. Die mangelnde Zeit zum Schreiben glich er mit Plagiaten aus, was 1929 zum Ausschluss aus dem Schriftstellerverband führte. Seine Nähe zur SPD führte nach der Machtergreifung der Nazis dazu, dass er 1933 seine Arbeit verlor. Als schließlich noch eine alte Angelegenheit wieder aufgerollt werden sollte, bei dem es um Bücherdiebstahl im Dienst im Jahr 1927 ging (Zech soll 2000 Bände entwendet haben), sah er sich dazu gezwungen, Berlin und Deutschland zu verlassen.
Auch für seine Exil-Zeit in Argentinien ist es schwer, zwischen Fiktion und Realität zu unterscheiden. So gab er sich hier als politisch verfolgter Linksintellektueller aus, dessen Bücher verbrannt worden seien. Auch seine Reiseberichte aus Südamerika stammen aus fremden Quellen. Wie so viele Exilanten hatte auch Paul Zech Schwierigkeiten, sich als deutschsprachiger Schriftsteller im Ausland durchzuschlagen. Die Rückkehr nach dem Krieg gelang Zech nicht mehr, am 7. September 1946 verstarb der „Arbeiterdichter“ in Buenos Aires. 1971 wurde seine Urne in Friedenau beigesetzt.
Vor allem in der DDR wurden seine Werke neu mit einigem Erfolg verlegt, ein Erfolg, der ihm in der alten Bundesrepublik weitestgehend verwehrt blieb. Seine Gedichte „Wer auf der Flucht ist, so wie wir“ und „Im Dämmer (Im schwarzen Spiegel der Kanäle)“ nahm Marcel Reich-Ranicki in seinen Kanon auf, doch sein größter Erfolg wird tragischer weise der durch Klaus Kinski populäre „Erdbeermund“, der noch heute sehr häufig Villon zugeschrieben wird.

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